Sterbeamme

FAQ – Häufig gestellte Fragen

Der Begriff Sterbeamme*Sterbegefährte macht Angst. Wie kann man so einen Namen wählen?

Die Tatsache, dass wir uns eines Tages vom Leben verabschieden müssen, macht uns Menschen so viel Angst, dass wir es vorziehen nicht daran zu denken. Wann immer der Abschied durch Alter oder eine lebensbedrohliche Diagnose konkret wird, beschleicht uns lähmende Ohnmacht. Wir alle erkennen die Zeichen, wenn für uns oder unsere Lieben der Moment gekommen ist. Unsere Gedanken beginnen beunruhigend um Tod und Sterben zu kreisen. Sprechen tun wir allerdings meist nicht darüber. Ohnmacht und Angst sind die stetigen Begleiter, wenn es um unsere eigene Endlichkeit geht. Das bildet den wesentlichen Hintergrund für unsere Sprachlosigkeit.

Die Zukunft der Hinterbliebenen ist angesichts der Sterblichkeit ebenso ungewiss, wie die Zukunft der Sterbenden nach dem letzten Atemzug. Weder für die einen, noch für die anderen findet sich ein Forum, in dem Zukunftsvorstellungen, Ideen und Gestaltungsmöglichkeiten einen Platz finden. Das Leben ist genauso ungewiss, wie das, was danach kommt. Warum besprechen wir nicht die vielfältigen Möglichkeiten von Zukunft?

Leben hat viel mit Mut, Hoffnungen, Entscheidungen und Perspektiven zu tun. Diesen Mut, eine Zukunft zuzulassen, wohin auch immer sie führen mag, gilt es anzusprechen, zu stärken und zu unterstützen. Jedes Erkennen der eigenen Sterblichkeit fordert Veränderungen. Hierzu ist ebenso methodisches Werkzeug, wie auch der feste Stand im eigenen Leben notwendig. Jeder Zukunftsplan – im Leben, wie nach unserem Tod – muss in unserer Fantasie erarbeitet werden bevor er konkret umgesetzt werden kann.

Krankheiten werden durch Prognosen und Statistiken in ihrem Verlauf geprägt und gleichzeitig blockiert. Vergleichbar wird jedes Denken über den letzten Atemzug hinaus durch wenig überzeugende geistige Modelle behindert.

Chemotherapie und andere Medikamente sind ungenügend, um einem Menschen den Lebensmut zu nehmen, geschweige denn, diesem Mut zu vermitteln.

Ob die Zukunft den Abschied vom Leben bedeutet oder ein Weiterleben, ist offen.

Die Aufgabe einer*eines Sterbeamme*Sterbegefährten ist es, Menschen so zu begleiten, dass für alle Beteiligten ein größtmöglicher Frieden möglich ist. Ein Abschied, wie auch ein Weiterleben birgt allerdings ungeahnte Hürden in sich, bis Frieden und Einverständnis entstehen können. Nur Mitgefühl und Zuhören reichen nicht aus.

Sterbeammen*Sterbegefährten sind Menschen, die Hoffnungen angesichts einer ungewissen Zukunft freilegen helfen. Ihre Kunst ist es, mit allen Beteiligten Möglichkeiten zu entwickeln, das Leben und die Zukunft selbst in die Hand zu nehmen.

Insofern ist ein*e Sterbeamme*Sterbegefährte immer auch ein*e Krisenamme*Krisengefährte im Leben.

Gibt es einen Konflikt zwischen der Arbeit von Sterbeammen*Sterbegefährten und Hospizen bzw. Pflegeeinrichtungen? Gelegentlich entsteht der Eindruck, dass Mitarbeiter*innen von Hospizen und Pflegeinrichtungen sich durch den Arbeitsansatz von Sterbeammen*Sterbegefärhten nicht gewürdigt fühlen. Dazu gibt es jedoch keinen Anlass, der einer näheren Betrachtung standhalten würde.

Wie ich von Teilnehmenden, die eine durch Hospize angebotene Palliativ-Care-Ausbildung hinter sich haben, weiß, gibt es verschiedene Themen, die dort nebensächlich behandelt werden oder ganz ausgespart werden. Als Beispiel dafür möchte ich den Umgang mit Angst nennen. Die Angst Sterbender und Angehöriger vor dem großen Abschied ist eine immense Herausforderung an die Begleitenden. Verständnisvolle Worte, gut gemeinte Gesten, Zuhören können, das alles ist sowieso notwendig, reicht aber oft nicht aus, um die von Angst und Panik Gejagten wirklich zu erreichen. Ich halte es für notwendig, genau in diesem Gebiet alle Möglichkeiten fantasievoll zu nutzen. Es gibt so viele Möglichkeiten, wie es Menschen gibt. Deshalb bin ich überzeugt, dass auch eine Palliativ-Care-Ausbildung kein vollwertiger Ersatz für die Fortbildung zur*zum Sterbeamme*Sterbegefährte ist.

Angst ist nur ein Thema. In der Fortbildung Sterbamme*Sterbegefährte geht es auch um Themen, wie die Heilung ungelöster Trauer auch noch nach Jahren. In meinem Unterricht spielt auch Suizidprävention oder die Nachbetreuung eines Suizidversuches eine Rolle. Diese und viele andere Themen, wie Fehlgeburten, plötzlicher Kindstod, Sterbefälle durch Unfall u.a. spielen in der Pallativ-Care-Ausbildung keine Rolle. Die Fortbildung zur*zum Sterbamme*Sterbegefährten ist also zweifellos sehr viel umfassender.

Aus meiner Sicht gibt es für einen „Wettbewerb“ dennoch keinen Anlass. In den Fortbildungen und Supervisionen, die ich in Hospizen gebe, mache ich die Erfahrung, dass die Menschen, die dort arbeiten, meine Anregungen offen und interessiert annehmen. Der tagtägliche Einsatz in der Betreuung alter und sterbender Menschen findet meinen höchsten Respekt.

Eine gute Zusammenarbeit in gegenseitiger Wertschätzung ist ein Vorteil für die, die in Einrichtungen arbeiten, für Sterbeammen*Sterbegefährten und zu allererst für die Betroffenen selbst.

Ist „Sterbeamme*Sterbegefährte“ ein esoterisches Konzept? Als Sterbeamme begegne ich in meinem beruflichen Alltag diversen Vorurteilen. Ich möchte im Folgenden meine Sicht zu Thema „Esoterik und Sterbeamme*Sterbegefährte“ darlegen:

„Ach, das ist nur eine Esoterikerin!“ Eine solche Bemerkung ist zweifellos sehr abwertend gemeint. Vor unserem inneren Auge entsteht ein Mensch, der leichtgläubig, naiv und unreif ist. Diese abwertende Bemerkung berührt das Klischee von Menschen, nicht aus dem Haus gehen, ohne Tarotkarten gelegt zu haben, sie lecken dreimal täglich an ihrem Rosenquarz und umarmen Bäume. Esoteriker*innen sind angeblich weltfremd und verschroben.

Dieser Art der Verächtlichmachung einer bestimmten Gruppe von Menschen steht ein anderes Klischee gegenüber. „Nicht-Esoteriker“, also dasselbe Klischee in Grün, sind angeblich realistisch denkende Menschen, die lebenspraktisch handeln und sich in ihren Entscheidungen an gut recherchierten Untersuchungen und wissenschaftlichen Fakten orientieren. Diese Menschen sind angeblich handfest, aber keinesfalls sentimental.

Die meisten Menschen möchten sich lieber mit dem zweiten Klischee identifizieren. Kein Mensch will als Esoteriker*in verschrien werden. Doch wo ist die Grenze? Für den einen ist das gelegentliche Meditieren lediglich eine Entspannungsmethode, für den anderen ist bereits das Vertrauen in die Homöopathie esoterische Leichtgläubigkeit.

Spätestens jetzt ist es an der Zeit, zu klären, was das Wort Esoterik eigentlich bedeutet. Lexikalisch gesehen heißt Esoterik „die Wissenschaft des Geheimen.“ Geheim ist hier als „nicht allgemein anerkannt“ zu verstehen, bedeutet also, eine Art „nicht offizielle Wissenschaft.“

So gesehen war Akupunktur in den fünfziger Jahren in Deutschland absolut esoterisch, weil nicht anerkannt. Heute hingegen gibt es eine Vielzahl an Schulmediziner*innen, die diese komplexe Wissenschaft in Praxen und Krankenhäusern betreiben. Es ist also zweifellos eine Frage des Zeitgeistes, was anerkannt und nicht anerkannt, esoterisch oder nicht ist. Buchgläubige Katholik*innen haben in den fünfziger Jahren in vielen ländlichen Gebieten Deutschlands den anerkannten Lebensstil vorgegeben. Heute, fünfzig Jahre danach, werden tiefgläubige Katholik*innen oft milde belächelt, obwohl sie der Bedeutung des Wortes folgend inzwischen eigentlich als Esoteriker*innen verschrien sein müssten. Religionen werden generell nicht des Esoterischen bezichtigt.

Ich bin der Meinung, dass Glaubensfreiheit für alle Menschen gilt. Wer für seine Lebensbewältigung Engelskarten benötigt, der hat dazu das gleiche Recht, wie ein*e Christ*in auf die Bibel.

Um auf die Frage, ob „Sterbeamme*Sterbegefährte“ ein esoterisches Konzept ist oder nicht, zu antworten, ist es notwendig zu differenzieren.

In der Fortbildung zur*zum Sterbeamme*Sterbegefährten geht es fundamental darum, eine Weltsicht zu entwickeln, die es unabhängig von Dogmen möglicht macht, andere, als die eigenen Glaubenswelten, frei von Belehrungen zu akzeptieren. Nur unter dieser Voraussetzung können sich Sterbende und Trauernde aufgehoben fühlen. Das Motto „Bleibe da und tue nichts“ einiger religiöser Gruppen erscheint mir besser als gar nichts und dennoch viel zu wenig zu sein. Die von mir unterrichtete weltanschauliche Toleranz und Akzeptanz ist nur für Menschen möglich, die ein überzeugendes eigenes spirituelles Weltbild entwickelt haben, aus dem sich diese Anerkennung der Vielfalt als spirituelles Gebot ableitet. Humanismus mag ausreichend sein, um die Diskussionskultur in der Politik zu regeln. Humanismus greift jedoch als bloße Verhaltensregel angesichts der Mysterien des Lebens nicht tief genug.

Hier stehen sich zweifellos zwei grundsätzliche Ansichten gegenüber:

  1. Der Mensch ist Körper und bringt einen Geist (=Verstand) hervor, der das Chaos der Emotionen zügelt.
  2. Der Mensch ist ein geistig-seelisches Wesen, das vorübergehend einen Körper bewohnt, sich mehr schlecht als Recht mit seinen Emotionen herumplagt und von seinem eigenen Verstand eine viel zu hohe Meinung hat.

Ich beziehe ganz klar Stellung für die zweite Sichtweise und habe damit gelegentlich meine liebe Mühe, mit naturwissenschaftlich orientierten Menschen, die die erste Sicht vertreten.

Es ist genau die oben beschriebene Sichtweise, die mir hilft, diesen Menschen ihren Standpunkt zu lassen; Ratsuchenden hingegen kann ich dadurch Akzeptanz und Anerkennung anzubieten und sie mit ihren Sorgen und Anliegen ernst nehmen.

In der Fortbildung geht es also sehr wohl um nicht wissenschaftlich anerkanntes Wissen. Formal könnte man diese Fortbildung also als esoterisch bezeichnen. Da aber niemand dieses Wort so korrekt benutzt, sondern abwertende Inhalte damit verbindet, möchte ich meine Fortbildung als lebenspraktisch, toleranz- und akzeptanzfördernd, spirituell, konfliktbewältigend, andere Realitäten von Sterbenden annehmend, lösungsorientiert, ressourcenorientiert und langzeitwirksam bezeichnen.

„Jeder glaubt, die Wahrheit zu haben, und jeder hat sie anders.“
Gotthold Ephraim Lessing, (1729 - 1781), deutscher Schriftsteller, Kritiker und Philosoph der Aufklärung

Machen Sterbeammen*Sterbegefährten Psychotherapie? In meiner Arbeit begegne ich gelegentlich der Auffassung, dass Sterbe- und Trauerbegleitung eine besondere Art der Psychotherapie sei und damit in den Zuständigkeitsbereich von diplomierten Psychotherapeut*innen gehöre. Ich möchte die Fragestellung, ob das zutreffend ist, von verschiedenen Seiten beleuchten.

Wer von „Therapie“ spricht, meint für gewöhnlich eine Psychotherapie. Die Bezeichnung „Psychotherapie“ ist jedoch ein Überbegriff für viele, sehr unterschiedliche Methoden. Arbeitsweisen, Menschen und Weltbild verschiedener Psychotherapien sind z.T. sogar sehr widersprüchlich. z.B. unterscheidet sich eine Gesprächstherapie fundamental von einer freudianischen Analyse. Kunsttherapie hat sehr wenig gemein mit Verhaltenstherapie usw. Es gibt also nicht „die“ Psychotherapie schlechthin. Fast ausnahmslos betrachten sie jedoch alle den Menschen und seine Konflikte als ein Produkt seiner Umwelt, das sich in den Fallstricken seiner Emotionen verfangen hat. Lediglich eine kleine Gruppe lässt eine erweiterte Sichtweise auf den Menschen zu. Transpersonale Psychotherapie akzeptiert veränderte Bewusstseinszustände, religiöse und spirituelle Erfahrungen, als einen Teil des menschlichen Wesens.

Wie der Alltag lehrt, wird überall nur mit Wasser gekocht, d.h. selten werden lupenreine Lehrkonzepte einer einzigen Therapierichtung angewendet. Die menschliche Reife und die Weltsicht der Therapeutin oder des Therapeuten bestimmen meist eher über die Inhalte einer Psychotherapie, als die Bezeichnung der Therapierichtung, unter der anschließend mit der Kasse abgerechnet wird.

Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen, ob Sterbemmen*Sterbegefährten psychotherapeutisch arbeiten, möchte ich anmerken, dass sich dies bei einer Reihe von Therapieformen von selbst verbietet. Eine freudianische Analyse dauert in der Regel mehrere Jahre und scheidet damit aus. Eine Gesprächstherapie soll durch vorbehaltloses Zuhören helfen, ein positiv gefärbtes Selbstbild zu entwickeln. Auch dies ist bei Sterbenden und ihren Nahestehenden nicht der notwendige Ansatz. Verhaltenstherapie programmiert ein suchthaftes Fehlverhalten um, auch das ist weder das Problem Sterbender, noch ihrer Nahestehenden. Gestalttherapie und Transaktionsanalyse, Psychodrama oder Familienaufstellung haben Sterbenden in ihren Angstzuständen nichts zu sagen. Wenn Sterbende oder ihre Angehörigen brennende Fragen haben, dann sind dies in der Regel Fragen nach den so genannten „letzten Dingen.“ Sehr wenige Menschen sind heute noch in buchreligiösen Vorstellungswelten zu Hause. Die Fragen nach den mystischen Dimensionen menschlicher Existenz sind wie ein gähnender Abgrund, der keinesfalls durch philosophische Spitzfindigkeiten überquert werden kann.

Was hier benötigt wird, kann mit den schlichten Worten Trost und Zuversicht benannt werden. Dies aber ist nicht die Stärke einer der gebräuchlichen, psychotherapeutischen Methoden. Sie versagen am Sterbebett ebenso, wie religiös formale Floskeln oder philosophische Dispute. Vermutlich ist das der Grund dafür, weshalb Krankenkassen Psychotherapie für Sterbende oder Trauernde offiziell nicht erstatten.

Was aber kann Trost und Zuversicht geben? Nach meiner Erfahrung ist es möglich, Menschen ihre Angst und z.T. sogar ihre Schmerzen zu nehmen, wenn sie meine Gewissheit spüren. Wenn ich ihnen vorlebe, dass ich zutiefst überzeugt bin, dass der Tod eine Art von neuer Geburt ist. Es geht nicht darum, dass Menschen meine Überzeugungen übernehmen. Aber meine Gewissheit kann, wenn die Menschen dafür offen sind, Entspannung und Ruhe bringen. In dieser Ruhe können sie anfangen weiter zu denken. Voraussetzung dafür ist, dass ein Mensch Fragen hat und Antworten finden möchte. Dies ist nicht immer so.

Psychotherapie kann diese Form der Unterstützung Ratsuchender nicht genannt werden.

Sterben begleiten? Machen das nicht die Leute, die in Hospizen arbeiten? Und wieso soll das bezahlt werden? Das machen die doch ehrenamtlich. Sterbeammen*Sterbegefährten, festangestellte und ehrenamtliche Hospizmitarbeiter*innen haben das gleiche Anliegen: sie begleiten Sterbende und spenden Trauernden Trost. Sowohl ein*e Sterbeamme*Sterbegefährte, als auch ein*e festangestellte Hospizmitarbeiter*n, berechnen für diese Dienste ein angemessenes Honorar, während ehrenamtliche Hospizmitarbeiter*innen darauf verzichten.

Frauen und Männer, die anderweitig finanziell entsprechend abgesichert sind, können sich das wertvolle Geschenk eines Ehrenamtes an die Gesellschaft erlauben, zumal diese ehrenamtliche Tätigkeit nur für einige wenige Stunden in der Woche ausgeübt werden soll. In die Arbeit einer*eines ehrenamtlichen Hopsizmitarbeiter*in fließt ihre*seine Offenheit dem Thema gegenüber, verbunden mit ihrer*seiner Lebenserfahrung ein. Das ist bei einer*einem Sterbeamme*Sterbegefährte ebenfalls der Fall.

Allerdings verfügt ein*e Sterbeamme*Sterbegefährte über eine professionelle Ausbildung, wenn es darum geht, Angst und Panik zu thematisieren und auf geeignete Weise zu bearbeiten. An diesem Punkt sind sowohl haupt- als auch ehrenamtliche MitarbeiterInnen von Hospizen überfordert. Die herkömmliche Art der Angstbewältigung sind Beruhigungsmittel.

Mitfühlende Worte und Präsenz sind grundlegende Voraussetzungen für Sterbe- und Trauerbegleitung. Diese reichen jedoch nicht aus, von Angst und Panik gejagten Menschen eine tatsächliche Hilfe anzubieten.

Bei der Tätigkeit einer Sterbeamme/eines Sterbegefährten geht es vielmehr darum, Angst und Traumata medikamentenfrei zu lösen (Anxiolyse). Die Werkzeuge dazu sind u.a. philosophisch-religionstheoretische Gesprächsführung, Krisenmanagement und Coaching.

Was ist der Unterschied zwischen der Begleitung durch eine*n Sterbeamme*Sterbegefährten und den Hospizmitarbeiter*innen – besonders den ehrenamtlichen? Wenn wir die Hospize nicht hätten, so würden viele Menschen austherapiert und mit der Prognose „Sterben“ nach Hause geschickt werden. Dort würden sie allein zusehen müssen, wie ihr Leben und ihr Sterben weiter geht. Viele Familien können eine Rundumpflege (durch Berufstätigkeit und anderes) nicht gewährleisten. Um diesem Missstand begegnen zu können, wurden ambulante und stationäre Hospize eingerichtet. Diese Einrichtungen spiegeln auch das Bedürfnis nach ethischem und würdevollem Umgang mit schwer Erkrankten und ihren Zugehörigen in unserer Gesellschaft wieder.

Menschen werden so in ihrem Leiden wahrgenommen und die Gefahr der Einsamkeit wird vermieden. Das ist in sich eine ebenso sinnvolle, wie tröstende Aussicht.

Neben körperlichen Leiden, die durch Hospize und Palliativeinrichtungen aufgefangen werden, steht allerdings das seelische „Leid“ der Menschen. Es handelt sich dabei um die Ängste und Sorgen Sterbender und ihrer Angehörigen, die ihre Furcht aushalten ohne zu lernen, sie zu verwandeln. Diese Ängste werden durchaus wahrgenommen. Doch man begegnet ihnen mit Tabuisierung, Ohnmacht, Sprachlosigkeit und dem Bemühen sie zu überspielen. Doch Ablenkung allein reicht nicht, um Ängste zu erlösen. Zuhören allein reicht nicht, um Probleme zu verwandeln. Die Sorge, die Furcht, die Angst und die Panik tauchen mitnichten erst dann auf, wenn ein Mensch den Weg ins Hospiz gefunden hat: diese Probleme sind genau dann präsent, wenn eine lebensbedrohliche Diagnose den gewohnten Alltag zerfetzt. Und genau in diesem Moment gilt es, die Ängste vor Tod und Sterben in einen Abschied zu verwandeln.

Sterbeammen und Sterbegefährten sind ausgebildet, diese Probleme angesichts des letzten großen Abschieds zu erkennen und dabei zu unterstützen, die Ängste zu verwandeln. Dafür reicht Zuhören nicht aus. Und allgemeine „Tipps und Tricks“ gibt es nicht. Abschiednehmen ist ein Individualprozess, der Fragen über den letzten Atemzug hinaus aufwirft. Insofern stellen sich Sterbeammen und Sterbegefährten auch ihren eigenen spirituellen Fragen, die Sterbliche in ihrem Leben begleiten. Sie haben gelernt, konsequent weiterzudenken und auch dann noch Ideen zu entwickeln, wenn Unruhe oder Angst das scheinbar unmöglich machen.

Insofern reduziert sich die Begleitung durch Sterbeammen und Sterbegefährten keineswegs auf Menschen, die aus den medizinischen Möglichkeiten gefallen sind, sondern kann auch dort unterstützen, wo plötzliche Tode, Suizidgedanken, Schwangerschaftsabbrüche usw. den Sinn des Lebens in Frage stellen. In diesen Situationen gilt es, Ängste und Lebenszweifel in neues kraftvolles Leben zu verwandeln. Noch immer steht z.B. für Frauen, die ihr(e) Kind(er) während der Schwangerschaft oder bei der Geburt verloren haben, kein Nachsorgungsangebot zur Verfügung. Dies alles sind keine Themen für ein Hospiz.

Der Werkzeugkoffer von Sterbeammen und Sterbegefährten ist gut gefüllt, damit auf diesem schweren Weg Handlungsfähigkeit statt Ohnmacht möglich ist. Sie begreifen sich als Trainer*innen, die ihrem Gegenüber sowohl das Leben als auch das Sterben zutrauen und die dabei genau wissen, dass sie niemandem den Prozess und den Weg ersparen können. Keine Hebamme der Welt kann einer Gebärenden die Wehen abnehmen, sie kann jedoch an die werdenden Mutter glauben, sie anfeuern und ihr zutrauen, die Wogen zu überleben.

Sterbeammen und Sterbegefährten sind auch Lebensammen und Lebensbegleiter, denn ihre Aufgabe ist es, Kranke und Trauernde – in aller Wahrung ihrer Freiheit – in ein neues Leben zu locken.

Sie verfügen über eine Fülle von Ideen, Geschichten, Texten und Musik, um das Denken – manchmal auch auf humorvolle Art – auf den Kopf zu stellen. Sie haben im Laufe ihrer Ausbildung auch gelernt, durch angeleitete Bilderreisen (Metaphorisches Bilderstellen nach Claudia Cardinal), neue und ungewohnte Wege sichtbar zu machen. Sich den veränderten Wahrnehmungszuständen Sterbender verständnisvoll und lösungsorientiert zu nähern und sich in ihren Wahrnehmungen zu bewegen erfordert eine fundierte Ausbildung, über die Sterbeammen und Sterbegefährten verfügen. Ihre Lebenshaltung hat sich durch die Ausbildung verändert und sie sind in hohem Maße professionalisiert.

Die Fortbildungen für Ehrenamtliche befähigt diese dazu, zuzuhören, leidvolle Geschichten ertragen zu können und die Grundbedingung zu erfüllen, dass Sterbende niemals allein gelassen werden. Pflegende in den Hospizen sind in der körperlichen Pflege ausgebildet. Die Verwandlung von brennenden Sinnfragen allerdings wird weder durch eine ehrenamts- noch durch eine pflegerische Ausbildung angegangen.

Wenn die tiefen Fragen nach Sinn und Sinnlosigkeit angesichts des Sterbens (auch bei Suizidneigungen) dem Ehrenamt übergeben werden, ist das ein Zeichen der Ohnmacht einer ganzen Gesellschaft.

Was ist Spiritualität? In der Sterbebegleitung solle es mehr Spiritualität geben. Dies ist heute eine gängige Forderung bei der Begleitung von Menschen im Sterben. Viele Palliativstationen und ebenso viele Hospize wagen sich damit an einen Begriff heran, der bislang noch nicht salonfähig ist. Wer diesen Begriff benutzt, wird leicht abwertend mit dem Begriff „esoterisch“ belegt und damit nicht mehr ernst genommen.

Zudem ist der Begriff Spiritualität noch nicht ausreichend definiert, womit bisher unklar bleibt, was genau gefordert wird. Was bedeutet Spiritualität?

Ein ernstes Gespräch über die Form einer anstehenden Beerdigung zu führen, hat noch nichts mit Spiritualität zu tun. Ein offenes Ohr dafür zu haben, welche Patientenverfügung oder welches Testament aufgesetzt werden soll, ebenso wenig. Selbst ein Gespräch über mögliche Konflikte, die ein Sterben behindern können, ist nicht zwingend eine Hinwendung zu spirituellen Themen. Insofern ist auch die von Franco Rest veröffentlichte „Spirituelle Patientenverfügung“ keineswegs spiritueller Natur, es handelt sich vielmehr um eine psychologische Evaluation – auch wenn die Fragen der Verfügung durchaus tief gehend sind.

In den 50er Jahren zu meiner Kinderzeit gab es eine Fernsehwerbung: Ein Mann mit ernstem Gesichtsausdruck schwenkte sein Weinbrandglas und sagte langsam und eindringlich: „In diesem Weinbrand ist der Geist des Weines!“ Ich war fasziniert und beeindruckt – ein eingefangener Geist!

Der Geist, der „Spiritus“– wie er in der Übersetzung heißt – bedeutet, dass in jeder Materie und in jedem Phänomen eine Essenz – ein eingefangener Geist – steckt, die immaterieller Natur ist. Im Fall der Fernsehwerbung geht es natürlich um den Geist des Weinbrands.

In Fall eines Menschen, geht es um seine jeweilige Essenz, die fortbesteht, auch wenn sein Körper nicht mehr existiert. Weiter gedacht bedeutet dies, dass eine Eibe einen anderen Spiritus in sich trägt, als eine Buche, ein Huhn einen anderen Spiritus in sich trägt, als eine Kartoffel und ein Computer einen anderen, als ein Gedichtband.

Spiritualität in der Sterbebegleitung zu wünschen und zu fordern, würde letztlich bedeuten, dass alle Beteiligten in sehr hohem Maße umdenken. Und da genau fängt das Problem unserer heutigen aufgeklärten und vernünftigenGesellschaft an: je materieller eine Gesellschaft ist, desto weniger wird ein Geist (ein Spiritus) angenommen – ganz einfach deshalb, weil ein materielles Konzept einen Spiritus nicht messen und wiegen kann. Etwas nicht-Materielles entzieht sich ganz einfach der Überprüfbarkeit. Und deshalb versagen auch unsere bekannten Messgeräte.

Wenn sich ein Geist, ein Spiritus, in einem Menschen befinden sollte, so müsste er in allem, was er tut, in allem was er denkt und rät, die Essenz mit einbeziehen und berücksichtigen. Konsequent weiter gedacht wäre dann die (als spirituell gemeinte) Frage danach, wie sich jemand seine Beerdigung vorstellt, schon ad absurdum geführt. Denn wenn es sich beim Sterben um das Freiwerden eines Geistes handelt, wird dieser sich unabhängig von seinem Körper bewegen. Es würde also immer nur der „alte Mantel“ (die Körperhülle) bestattet, niemals aber der Geist, der Spiritus. Eine spirituelle Sichtweise würde somit auch jede pompöse Bestattung in Frage stellen, denn dann wäre klar, dass niemals ein Mensch/ein Geist beerdigt oder gar verbrannt werden könnte. 

Konsequent weiter gedacht müsste sich ab diesem Moment jede Sterbe- und Trauerbegleitung revolutionieren, ganz einfach, weil zwischen Geist und Körper/Materie unterschieden würde. Meist wird in gängigen Trauerbewältigungsstrategien die Erinnerung gepflegt und unterstützt. Das ist schön, reicht aber nicht, denn diese bleibt in Gedankenpflege und Erinnerung stecken. 

Trauer ist dann geheilt, wenn beide Seiten einverstanden sind und es ihnen gut geht. Wenn ein Geist weiterhin besteht, gibt es die Möglichkeit, sich einer neuen Kommunikation – über den letzten Atemzug hinaus – hinzuwenden. Diese Form der zukünftigen Verbindung nach einem Tod wird heute leider keineswegs in Erwägung gezogen. Möglicherweise deshalb, weil ein solcher Gedanken undenkbar ist und „nicht sein kann, was nicht sein darf“. 

Die großen Religionsgemeinschaften (Judentum/Christentum/Islam) haben in den vergangenen Jahrtausenden viel dafür getan, dass nach einem Tod jede Verbindung zu unseren Lieben gekappt wird. Mit dem Dogma der theologischen Grundsätze wird jede Verbindung zu unseren Lieben unterbunden indem die heiligen Schriften den Kontakt mit Verstorbenen als „Hexenwerk“ bezeichnen. Gleichwohl hat sich unser Brauchtum immer an die Verstorbenen gewendet.

Laut Untersuchungen sprechen viele Menschen, wenn sie zum Friedhof gehen, mit ihren verstorbenen Angehörigen. Hierbei stellt sich mir jedoch die Frage, ob es sich tatsächlich um ein Gespräch handelt oder eher um einen Monolog. Ein Gespräch hat ein Gegenüber – ein Monolog nicht. Ein Monolog erwartet kein Gegenüber und berücksichtigt dies auch nicht. Wenn es aber einen Spiritus gibt, dann würden sich für diese Gespräche völlig andere Voraussetzungen ergeben. Dann besteht die Möglichkeit, und die Erwartung, dass es eine Antwort gibt. 

Das Entscheidende an dem spirituellen Ansatz der Sterbeammen-/Sterbegefährten-Akademie ist, dass ein sterbender Mensch darin unterstützt wird, mehr zu erkennen, als seine bloße Identität als Mensch. Er soll lernen, sich als mehr denn nur Materie begreifen. Er soll unterstützt werden, über den letzten Atemzug in eine völlig ungewisse und möglicherweise unvorstellbare Zukunft zu denken.

Die Begleitung Trauernder beinhaltet dementsprechend, diese dabei zu unterstützen, eine Verbindung zu einer weiter bestehenden Essenz – dem Spiritus – aufzubauen.

Diese Form der Begleitung könnte nur von denen geleistet werden, die sich erlauben, die Möglichkeit eines Spiritus anzunehmen und ebenso bereit sind, diese Gedanken eindeutig und klar und konsequent umzusetzen.

Erlauben wir uns doch, strikt und zielgerichtet weiter zu denken. Wir sollten Aussagen zur Spiritualität daran messen, wie sie umgesetzt werden. Dann können wir leicht entscheiden, ob es sich um eine standfeste Haltung handelt, oder nur um eine Floskel.